FLEETINSEL GESCHICHTE

Anfang 1989 bestand die „Fleetinsel“ aus maroden Altbauten, die nur durch das Transparent „Senat fressen Straße auf“ auffielen. Dieses hatte Westwerk an der Fassade des Hauses Admiralitätstraße 74 gehängt.

Die Fleetinsel – natürlich keine Insel im geographischen Sinne – wird im Westen durch das Herrengraben-Fleet, im Osten durch das Admiralitätstraßen-Fleet, im Süden durch die Ost-West-Straße und im Norden durch die Stadthausbrücke begrenzt. Die heute in diesem Bereich stehenden Neubauten Steigenberger und Fleethof gab es in den 80er Jahren noch nicht. Über die Denkmalwürdigkeit der Kontor- und Speicherhäuser stritt man. Der Michaelisspeicher, Admiralitätstraße 74, stammt im Kern aus dem Jahre 1787. Das kleine viergeschossige Haus Admiralitätstraße 76 mit seiner spätklassizistischen Fassade wurde etwa 1850 erbaut. Der für Gustav Neidlinger geplante Kopfbau Michaelisbrücke 1-3/Admiralitätstraße 77 entstand in den Jahren 1885/86. Der große Admiralitätshof in der Admiralitätstraße 71/72 entstand 1889/1890. Insgesamt wird man sagen können, dass die historische Fleetinselbebauung zwischen Michaelisbrücke und Ost-West-Straße die letzte in der Innenstadt geschlossen erhaltene Gruppe von Kontor- und Speicherhäusern darstellt.

Das Gebiet mit seiner kaum zerstörten Häuserzeile an der Admiralitätstraße hatte jahrelang brachgelegen. Die Stadt hatte in den 60er und 70er Jahren die Gebäude in der Admiralitätstraße aufgekauft und Anfang der 70er Jahre einen Bebauungsplan beschlossen, der von einer vollständigen Neubebauung anstelle der Altbauten ausging. Auch der im Jahre 1980 durchgeführte Architektenwettbewerb ging in seiner Aufgabenstellung von einer vollständigen Neubebauung aus.

Der Schnitt, mit dem die Ost-West-Straße das Hafengebiet von der Neustadt teilt, gab dem Areal trotz seiner zentralen Innenstadtlage etwas Aussätziges. Obgleich nur 30 Schritte vom Neuen Wall entfernt, gehörte die Fleetinsel nicht zum Nobelviertel. Diese Zwiespältigkeit der Situation war es wohl, die die künstlerischen Qualitäten in die Admiralitätstraße zog und den Altbauten in der Admiralitätstraße eine neue Funktion gab.

Die Häuser waren Mitte der 80er Jahre leer und es war alles zu ihrer Hinrichtung vorbereitet. Die leerstehenden Altbauten weckte die Begehrlichkeit von Künstlern. Es gelang Anfang 1986 einigen Künstlern mit einem Mitarbeiter der die Häuser verwaltenden Sprinkenhof AG kurz befristete Gewerbemietverträge abzuschließen, die es der Stadt ermöglichen sollten, die Häuser bei Bedarf kurzfristig zu exekutieren. Obgleich die Miete extrem niedrig war, konnten die Künstler nicht gleichzeitig Wohnung und Atelier in der Admiralitätstraße bezahlen. Entgegen den Bestimmungen des Mietvertrags unter Augenzwinkern des Sprinkenhof-Angestellten nutzten sie die Ateliers auch als Wohnung und hatten damit das, was sie wollten: ideale Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten.

Im Laufe des Jahres 1987 wurden alle Gnadengesuche für die zum Tode verurteilten Altbauten von der Bürgerschaft abgelehnt und es wurden Räumungsbescheide verschickt, die dem neuen Leben auf der Fleetinsel ein Ende zu setzen suchten.

Den Künstlern blieb nichts anderes übrig, als ihre Gerechtigkeit bei Gericht zu suchen. Der brave Angestellte der Sprinkenhof AG, Herr Bädorf, bestätigte als Zeuge den Gerichten, dass er es geduldet habe, dass die Künstler die Räume nicht nur als Atelier, sondern auch als Wohnung nutzten, so dass die Gerichte zumindest einigen Künstlern in erster Instanz Mieterschutz zubilligten, der eine vollständige Räumung der Gebäude unmöglich machte.

Wie Gerichtsverfahren zu Theater wurden, so lässt sich in dem amtsgerichtlichen Urteil nachlesen, mit dem Peter Mey, der bis 1994 auf der Fleetinsel das Theater „Imago“ betrieb, zur Räumung verurteilt wurde. Bei einem Ortstermin stellte das Hohe Gericht fest, dass die Badewanne und das Klo, die den Theaterräumen Wohnungscharakter geben sollten, lediglich Theaterkulissen waren. Peter Mey wurde zur Räumung verurteilt. Nach richterlicher Gerechtigkeit wird demjenigen das Dach über dem Kopf genommen, der den Entsorgungsnachweis seiner Exkremente nicht zu führen in der Lage ist.

So verwundert es nicht, dass die Künstler trotz einiger Erfolge in erster Instanz nicht allzu viel Vertrauen in die richterliche Gerechtigkeit hatten. Das Transparent mit der Aufschrift „Senat fressen Straße auf“, das die Bewohner des Hauses Admiralitätstraße 74 an der Fassade angebracht hatten, informierte die Öffentlichkeit und alarmierte den Senat. Als Anfang 1988 der endgültige Abriss der Häuser einmal wieder auf der Tagesordnung der Bürgerschaft stand, rief Ulli Dörrie, der in der Admiralitätstraße eine Galerie für zeitgenössische Kunst führte, uns an und sagte, dass der Abriss endgültig am kommenden Mittwoch in der Bürgerschaft beschlossen werden sollte. Nun sei tatsächliches Engagement für die Bildende Kunst gefragt. Nur einen Tag später, einem Sonntag Abend, verabredeten wir ein Treffen in der Galerie Dörrie, die sich auf der Fleetinsel niedergelassen hatte, zu dem der damalige Kunstsenator Prof. Ingo von Münch trotz gewisser Ängste spontan zusagte. Es stellte sich heraus, dass nach dem damaligen Planungsstand die alten Häuser einem Parkplatz weichen sollten. Die von der Stadt verfolgte Bebauung des Geländes mit einem erstklassigen Hotel und einem großen Bürokomplex wurden durch die Altbauten überhaupt nicht berührt. Prof. Ingo von Münch ließ sich spontan überzeugen, dass es sich aus kulturpolitischen Gründen lohnte, für den Erhalt der Häuser ohne Störung der städtischen Bebauungsziele zu kämpfen.

Dem Einsatz Prof. von Münchs war es zu verdanken, dass das Thema des Abrisses in der Bürgerschaft nicht behandelt wurde und sich langsam in den zuständigen Gremien der Stadt eine Meinungsänderung vollzog, die den endgültigen Erhalt der Häuser und deren Nutzung für kulturelle Aktivitäten schließlich ermöglichte.

Unterstützt von Ulli Dörrie und Carsten Dahne versuchten wir durch Konkretisierung unseres Erhaltungskonzeptes Politiker und die Investoren für den gegenüberliegenden Hotelkomplex davon zu überzeugen, dass das, was in den Altbauten entstanden war und noch fortentwickelt werden könnte, zum Nutzen der Stadt und auch zum Nutzen der geplanten benachbarten Hotelnutzung sein würde.

Die seinerzeitigen Ereignisse in der Hafenstraße und auch im Schanzenviertel im Zusammenhang mit dem geplanten Bau des neuen Flora-Theaters bestimmte damals das Denken der Hamburger Politiker, allerdings auf sehr unterschiedliche Art:

Der damalige Wirtschaftssenator Rahlfs, bei dem wir um das Erhaltungskonzept der Altbauten geworben hatten, war ganz und gar nicht angetan. Er war – ganz im Geiste von Bebauungsplänen aus der Nachkriegszeit – an einer simpleren monolitischen Lösung interessiert. Zudem hatte er angesichts der damaligen Ereignisse in der Hafenstraße und im Schanzenviertel eine Schreckensvision bei der Vorstellung künstlerischer Aktivitäten in einer Innenstadt, die der im Kapitalismus führenden Schicht vorbehalten bleiben sollte. Er schrieb am 25. Januar 1988 wörtlich:

„Ich verschweige aber nicht, dass ich persönlich erhebliche Zweifel daran habe, dass die von Ihnen angesprochene Nutzung mit einem wirklich erstklassigen Hotel vereinbar ist. Niemand ist in der Lage, langfristig zu verhindern, dass aus den von Ihnen beschworenen kulturellen Erlebnisräumen letztlich eher Grillpartys und ähnliches werden. Über weitere denkbare Nutzungskonflikte will ich dabei nicht erst meditieren.

Ich bedaure, Ihnen keine aus Ihrer Sicht gewünschte Antwort zukommen lassen zu können. Bitte haben Sie aber Verständnis dafür, dass aus meiner Sicht Realitäten der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie der Stadtentwicklung an dieser Stelle den Vorrang vor möglichen kulturellen Zielen haben.“

Ein persönliches Gespräch mit dem damaligen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Henning Voscherau, zeigte bei gleichem Denkansatz eine andere Sicht der Dinge. Er versprach eine Unterstützung des Projekts, weil, wie er sagte, die Politik Angst habe, dass sich die Hafenstraße langsam auf das Rathaus zubewege. Wichtig sei nach seiner Meinung, dass die Bewohner der Fleetinsel ordentlich Miete bezahlten, weil nur dadurch sichergestellt werden könne, dass eine ähnliche Entwicklung wie in der Hafenstraße nicht entstehe. Übrigens eine Denkweise, die 7 Jahre später seitens der Stadt eine politische Basis für die friedliche Konfliktlösung in der Hafenstraße war.

Schließlich erklärte die Stadt, dass die Häuser erhalten werden könnten, wenn wir sie erwerben und sanieren würden. Am 18. April 1989 wurde der Kaufvertrag zwischen der Fleetinsel GmbH, die wir zu diesem Zwecke gegründet hatten, und der Stadt geschlossen.

Bezeichnend ist, dass ein Vertreter der Liegenschaft noch am Nachmittag des 18. April anrief und bat, ob nunmehr nicht das Transparent mit der Aufschrift „Senat fressen Straße auf“ eingerollt werden könne.

Wir verpflichteten uns, die Altbauten auf Dauer zu erhalten und in Abstimmung mit dem Denkmalschutz entsprechend der besonderen Bedeutung der Bausubstanz denkmalschutzwürdig zu renovieren und für die Dauer von 10 Jahren für kulturelle Aktivitäten zu einer festgeschriebenen Durchschnittsmiete zu vermieten. Die seinerzeit 35 Miet- und Nutzungsverhältnisse wurden übernommen. Von diesen Mietern wohnen oder arbeiten noch heute viele auf der Fleetinsel.

Die freien Flächen wurden fast ausschließlich kulturellen Aktivitäten zugeführt. Was sich heute in den Altbauten der Fleetinsel befindet, ist auf dieser Website dargestellt.

Das Konzept, das vertraglich für 10 Jahre festgeschrieben wurde, haben wir auch nach Ablauf der 10-jährigen Bindungsfrist fortgesetzt. Die Gründe, die seinerzeit für den Erhalt der Altbauten und seiner halblegal entstandenen Nutzungsstruktur sprachen, gelten nach Bebauung des Areals mit dem Steigenberger Hotel und dem Fleethof genauso, wenn nicht sogar in stärkerem Maße fort.

Das Renovierungskonzept der von der Sprinkenhof seit Jahrzehnten auf Abriss bewirtschafteten Häuser sah vor, nur die zur Erhaltung und Nutzbarkeit notwendigen Mindestmaßnahmen durchzuführen, um einerseits den von den Bewohnern gerade gewünschten einfachen Charakter der Lager- und Bürohäuser zu erhalten und andererseits den finanziellen Aufwand zu begrenzen, um so die bezahlbaren Mieten auch langfristig erhalten zu können. Auch nach der Renovierung sollten sich die Häuser deutlich von dem neu errichteten Umfeld absetzen. Auf Substanzaustausch wurde soweit wie möglich verzichtet. Die Fenster der Häuser wurden nur, falls unbedingt notwendig, gegen neue ausgetauscht, sondern handwerklich repariert. Fassade und Dächer wurden repariert und – soweit möglich – nicht erneuert. Entscheidend war, die vorhandene Bewohner- und Nutzerstruktur zu erhalten und nicht durch hohe Investitionen zu gefährden.

Entsprechendes gilt für die Ladenbereiche. Das Problem der Verödung der Innenstadt durch die Dominanz von Einzelhandelsketten ist bekannt. Die Innenstädte von München, Düsseldorf und Hamburg sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Auf der Fleetinsel soll durch preiswerte Mieten Einzelhandelsgeschäften eine Existenzmöglichkeit in der Innenstadt gegeben werden, die kein überregionales Marketing betreiben wollen und können und die Nutzungsstruktur der Fleetinsel insgesamt ergänzen.

Jockel Waitz, Jan Störmer